„Ich denk, ich denk zu viel“ von Nina Kunz

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„Was sollen diese ewigen Gedankenschlaufen? Was haben schlaflose Nächte auf Instagram zu bedeuten? Und wie kann Jean-Paul Sartre bei Panikattacken helfen? Persönlich und präzise schreibt Nina Kunz – Schweizer Kolumnistin des Jahres 2020 – über das Unbehagen der Gegenwart und geht der Frage nach, warum sich ihr Leben, trotz aller Privilegien, oft so beklemmend anfühlt. Ein Buch über Leistungsdruck, Workism, Weltschmerz, Tattoos, glühende Smartphones, schmelzende Polkappen und das Patriarchat.“

Es hat wenig gebraucht, um mich davon zu überzeugen, dass ich dieses Buch in meinem Leben haben wollte. Angefangen beim Titel: Ich denk, ich denk zu viel – ja, das könnte ich genau so unterschreiben. Ich grübele, mache mir unendlich viele Gedanken, zweifle an vielem, hinterfrage meine Entscheidungen und mich selbst auf regelmäßiger, teilweise ermüdender Basis. Ich stehe am Ende meines Studiums, noch wenige Monate trennen mich von der „echten“ Arbeitswelt und diese Tatsache macht mich einerseits kribbelig aufgeregt und vorfreudig, teilweise macht sie mir auch Angst. In meiner Familie stand Arbeit schon immer an erster Stelle, es ging immer um Selbstverwirklichung und darum, richtig gut in etwas zu werden und sich darüber zu definieren. Und genau diesen Anspruch habe ich auch an mich selbst – ich möchte brennen für das, was ich täglich tue, möchte mich beruflich komplett einer Sache hingeben.

„Denn genau wie Thompson es beschreibt, bin ich mit dem Ideal aufgewachsen, dass es ein zentrales Ziel im Leben sein soll, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum wollte ich Journalistin werden, und darum habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage.“ S. 16

Nina Kunz ist nicht viel älter als ich und trifft so viele Gedanken, die ich auch habe, so verdammt gut auf den Punkt. Es geht um Arbeit und die Angst vor dem Scheitern, um Selbstzweifel, die sozialen Medien, und darum, wie unzufrieden wir eigentlich alle damit sind, dass wir so viel Zeit auf Instagram & Co. verbringen und trotzdem nichts daran ändern, weil es sich anfühlt, als wären Dinge nicht wirklich passiert, wenn wir sie nicht in unserer Story teilen und dafür nutzen, unser virtuelles Ich auszuschmücken.

„Ich hasse das Internet, weil ich etwas Bleibendes schaffen will, aber doch nur Insta-Stories gucke. Ich hasse das Internet wegen seiner zwanghaften Ironie und Kylie Jenner. Ich hasse das Internet, weil ich Angst habe, dass ich in fünfzig Jahren sagen werde: Fuck, ich habe mein Leben online vergeudet.“ S. 63

Ähnlich wie vielen Millennials fällt es mir oft enorm schwer, im Hier und Jetzt zu leben. Entweder ich glorifiziere die Vergangenheit, blicke voller Nostalgie auf frühere Versionen meiner Selbst zurück oder auf Menschen, die mal Teil meines Lebens waren. Oder aber ich stecke gedanklich in der Zukunft, verliere mich in Fantasien und Tagträumereien. Es gibt immer das nächste Ziel, das es zu erreichen gilt. Erst dann kann ich aufatmen. Erst dann kann ich innerlich entspannter sein. Erst dann werde ich rundum glücklich und zufrieden. Doch dieser Zeitpunkt des ultimativen Glücks verschiebt sich ständig und ich ertappe mich dabei, einem Zustand hinterherzujagen, der nichts weiter ist als eine Illusion.

„Wie in diesem Film (…) stehe ich jeden Morgen auf und sage mir: Ich muss nur noch diesen Text abgeben/dieses Mail machen … und DANN. Ich habe mal gelesen, dass das Erwachsensein darin bestehe, immerzu zu sagen: Aber nach dieser Woche wird es ruhiger – bis man stirbt.“ S. 68

Ich habe für Ich denk, ich denk zu viel so viele Klebezettel gebraucht, wie schon lange nicht mehr. Nina Kunz schreibt präzise und zugänglich. Ich habe mich beim Lesen so abgeholt, so verstanden gefühlt und während nicht alle Essays revolutionär neue Gedanken enthalten, sind sie auf eine Art und Weise geschrieben, die trotz allem neue Impulse liefern und einen frischen Blickwinkel bereithalten. Ich habe dieses Buch an einem Tag verschlungen und bin hungrig nach mehr. Große Empfehlung!


Der KEIN & ABER Verlag hat mir netterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür! Meine Meinung zu dem Buch beeinflusst das natürlich nicht.

Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel. KEIN & ABER Verlag. ISBN: 978-3-0369-5843-9. 192 Seiten. 20,00€.

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